Erbausschlagung

Die Erbausschlagung

I. Grundprinzip
Gemäß § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem Erbfall, also mit dem Tod einer Person (des „Erblassers“), deren Vermögen als Ganzes (also alle Vermögenswerte, aber auch alle Schulden) auf den oder die Erben über, in der Sekunde des Todes (sog. Gesamtrechtsnachfolge als Vonselbsterwerb). Ist diese Erbschaft jedoch nicht gewollt, steht dem („vorläufigen“) Erben gemäß § 1942 Abs. 1 BGB die Möglichkeit zu, die Erbschaft in kurzer Frist auszuschlagen; das Gesetz fingiert dann, dass er nie Erbe geworden ist (die Ausschlagung erfolgt also rückwirkend).

II. Motive
Im Regelfall geschieht dies, um die Haftung des Erben für die im Nachlass vorhandenen Schulden auch mit seinem schon vorhandenen „Eigenvermögen“ zu vermeiden. Als weniger radikale Reaktion könnte der Erbe die Erbschaft zwar annehmen, aber eine Haftungsbeschränkung auf den konkreten Nachlassbestand erreichen, etwa durch Anordnung der Nachlassverwaltung, die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens oder, wenn die Masse nicht einmal die Kosten deckt, die Erhebung der sog. „Dürftigkeitseinrede“ (§§ 1975, 1990 BGB). Daneben bestehen – wenn auch komplexe – Verfahren zur Beschränkung der Haftung gegenüber einzelnen Gläubigern (z. B. solchen, die sich bei einem Aufgebotsverfahren nicht melden, § 1973 BGB). Zu den in Betracht kommenden Nachlassverbindlichkeiten gehören auch Sozialleistungen, die der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod (etwa für die Pflegebedürftigkeit) bezogen hat
(§ 102 SGB XII bzw. § 35 SGB II).
Andere Motive der Ausschlagung (neben der Überschuldung des Nachlasses) können sein: die Entfremdung vom Erblasser, der Wunsch, nicht mit der Abwicklung des Nachlasses und beispielsweise der Fortführung zeitaufwendiger Rechtsstreitigkeiten belastet zu sein, aber auch die Vermeidung des Zugriffs bereits vorhandener oder erwarteter Eigengläubiger des Erben auf das Nachlassvermögen (das er „an sich vorbeiziehen lässt“), ferner die Möglichkeit, in die Nachlassverteilung einzugreifen, indem anstelle des Ausschlagenden die nächstfolgende Generation nachrückt. Schlägt ein Ehegatte aus, hat er schließlich die Möglichkeit, stattdessen den sog. „kleinen Pflichtteil“ und den konkret zu ermittelnden familienrechtlichen Zugewinnausgleich in Geld zu verlangen.
In Sonderfällen kommt ferner eine Ausschlagung in Betracht, wenn der Betreffende zwar zum Erben eingesetzt, aber mit Beschränkungen beschwert ist (wie Nacherbschaft, Testamentsvollstreckung, Teilungsanordnung oder Vermächtnissen), die er nicht akzeptieren will: Er kann dann, jedenfalls wenn er nur diese testamentarische Erbschaft ausschlägt, gemäß § 2306 BGB den unbelasteten Pflichtteil in Geld verlangen.
Bei gemeinschaftlichen Testamenten kann ferner der erbende Ehegatte die mit dem Erblasser eingegangene Bindung für seine eigenen letztwilligen Anordnungen aufheben
(§ 2271 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 2, § 2298 Abs. 2 Satz 3 BGB).
Sind Beteiligungen an Personengesellschaften vorhanden (und lässt z. B. der Gesellschaftsvertrag nur die Vererbung an Abkömmlinge zu, sog. „qualifizierte Nachfolgeklausel“), kann ein nicht hinreichend abgestimmtes Testament durch rechtzeitige Ausschlagung dadurch „geheilt“ werden, dass anstelle des z.B. eingesetzten (und als Nachfolger für den Gesellschaftsanteil untauglichen) Ehegatten kraft Ausschlagung die Kinder nachrücken und der Ehegatte statt dessen eine andere Abfindung erhält.
Häufig stehen auch erbschaftsteuerliche Überlegungen bei der Ausschlagung Pate, etwa um die Freibeträge der nachrückenden Ersatzerben zu nutzen. Der Ausschlagende kann dafür von den Ersatzerben eine Abfindung erlangen; § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG sieht vor, dass diese Abfindung so besteuert wird, wie wenn sie vom Erblasser (und nicht vom Ersatzerben) stammen würde, also mit den regelmäßig hohen Steuerfreibeträgen (500.000 Euro für den Ehegatten, 400.000 Euro für jedes Kind) und der günstigen Steuerklasse I bedacht ist.
Kurzum: Die Ausschlagung ist beileibe nicht beschränkt auf Überschuldungsfälle, sondern kann durchaus auch bei werthaltigen Nachlässen in Betracht kommen.

III. Frist
Die Ausschlagung ist möglich, solange die Erbschaft nicht ausdrücklich angenommen wurde, und ferner nur dann, wenn die Ausschlagungsfrist noch nicht versäumt wurde.

Die Ausschlagungsfrist beträgt sechs Wochen und beginnt mit der positiven Kenntnis des Erbanfalls und des Berufungsgrunds,

wobei im Fall testamentarischer oder erbvertraglicher Einsetzung zusätzlich notwendig ist, dass das Nachlassgericht den Inhalt des Testaments dem Erben bekannt gegeben hat
(§ 1944 Abs. 2 Satz 2 BGB), selbst wenn er den Inhalt schon vorher kennt oder zu kennen glaubt. Bei minderjährigen Erben beginnt die Frist ferner erst dann, wenn der letzte der (gemeinsam) Personensorgeberechtigten vom Erbanfall Kenntnis erlangt. Hatte der Erblasser seinen letzten Wohnsitz ausschließlich im Ausland, oder hielt sich der Erbe beim Beginn der Frist im Ausland auf, beträgt die Ausschlagungsfrist nicht sechs Wochen, sondern sechs Monate.
Die Frist wird nur gewahrt, wenn die Ausschlagungserklärung innerhalb der Frist beim Nachlassgericht eingeht.

IV. Korrektur durch Anfechtung
Wurde die Frist versäumt, gilt die Erbschaft als angenommen. In manchen Fällen kommt jedoch eine Anfechtung der durch den Fristablauf fingierten Annahme gemäß
§§ 1954 ff. BGB in Betracht, etwa wenn sich der Erbe über die Ausschlagungsfrist geirrt hat (§ 1956 BGB) oder nicht gewusst hat, dass der Nachlass überschuldet ist, oder er sonstige falsche Vorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses oder die Höhe seiner Beteiligung hatte. Die Frist hierfür beträgt wiederum sechs Wochen ab Kenntniserlangung von dem Anfechtungsgrund (also dem Irrtum). Mit der Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist sollte dann natürlich zugleich die (wiedereröffnete) Ausschlagung erklärt werden.
Hat der Erbe die Erbschaft ausdrücklich oder stillschweigend (durch Inbesitznahme der Nachlassgegenstände) angenommen, kann er die Annahme noch anfechten, binnen sechs Wochen ab Kenntnis der Umstände. Hierbei ist genaue Differenzierung nach den möglichen Anfechtungsgründen notwendig. In Betracht kommt beispielsweise die Anfechtung wegen des Irrtums, der Erbe dürfe nicht ausschlagen, um sein Pflichtteilsrecht nicht zu verlieren oder wegen Unkenntnis der Ausschlagungsfrist.
Umgekehrt kann auch die bereits erklärte Ausschlagung später wieder angefochten werden, etwa wenn sich die Vorstellung, der Nachlass sei überschuldet, nachträglich als Irrtum herausstellt. (Es reicht aber nicht, lediglich fehlerhafte Berechnungen angestellt zu haben, notwendig ist der Irrtum über die Zugehörigkeit von Nachlassgegenständen oder Verbindlichkeiten zum Nachlass.) Bloße falsche Wertvorstellungen bleiben jedoch irrelevant.

V.. Inhalt
Ein bestimmter Wortlaut der Erklärung ist nicht vorgeschrieben, es muss aber zum Ausdruck gebracht werden, dass die Erbschaft endgültig nicht angenommen werden soll. Die Ausschlagung kann nicht unter eine Bedingung gestellt werden, ebenso wenig kann zugunsten einer bestimmten Person ausgeschlagen werden. Es empfiehlt sich aber, das Motiv (die Überschuldung des Nachlasses) anzugeben, um später, falls sich diese Annahme als unrichtig herausstellen sollte, den Anfechtungsgrund leichter belegen zu können.
Die Ausschlagung kann nicht auf einen Teil der Erbschaft, also eine bestimmte Erbschaftsquote oder bestimmte Erbschaftsgegenstände, beschränkt werden.

VI. Wirkungen
Gemäß § 1953 BGB hat die (wirksame) Ausschlagung dieselben Wirkungen, als ob der Ausschlagende den Erbfall selbst nicht erlebt hätte. Es gilt also, wenn kein Testament vorhanden ist, die gesetzliche Erbfolge, die gelten würde, wenn der Ausschlagende selbst nicht mehr gelebt hätte, bei testamentarischer Erbfolge die im Gesetz angeordnete oder aufgrund gesetzlicher Auslegung ermittelte Ersatzerfolge. Dies kann mitunter zu überraschenden Ergebnissen führen: Nehmen die Beteiligten an, es wäre kein Testament vorhanden und wollen sie aus taktischen Gründen ausschlagen, um die gesetzlichen Ersatzerben nachrücken zu lassen, findet sich jedoch später doch ein Testament, das andere Ersatzerben bestimmt, sind Letztere berufen worden.
Eine zielgerichtete Ausschlagung „zugunsten einer bestimmten Person“ ist nicht möglich. Will der ausschlagungswillige Erbe einen bestimmten Dritten begünstigen, der nicht Ersatzerbe ist, müsste er statt dessen die Erbschaft annehmen und eine Erbteilsübertragung auf den Dritten vornehmen.
Die Verpflichtung, für die Beerdigungskosten aufzukommen, bleibt jedoch trotz Ausschlagung bestehen, da es sich um eine unterhaltsrechtliche Verpflichtung handelt
(§§ 615 Abs. 2, 1360a BGB). Des Weiteren ergibt sich diese Verpflichtung aus den landesrechtliche Bestattungsgesetzen.

Häufiger Irrtum des Ausschlagenden ist, dass er nach der Ausschlagung den Pflichtteil geltend machen könne. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn seine Erbenstellung beschwert war, etwa durch Vermächtnisse, Testamentsvollstreckung oder Nacherbschaft, nicht aber bei einer „normalen“ Erbenstellung ohne solche Beschwerungen. In letzterem Fall tritt lediglich schlicht Ersatzerbfolge ein, der Ausschlagende geht völlig leer aus.

VII. Besonderheiten
Ein Nacherbe kann gemäß § 2142 Abs. 1 BGB die Erbschaft bereits ab dem Eintritt des ersten Erbfalls, nicht erst des Nacherbfalls, ausschlagen, hat aber Zeit bis zum Ablauf der 6-Wochen-Frist nach dem Nacherbfall. Die Erbschaft bleibt dann dem Vorerben, sofern keine Ersatznacherbfolge angeordnet wurde. Ist der Nacherbe pflichtteilsberechtigt, kann er nach der Ausschlagung den unbelasteten Pflichtteil in Geld verlangen
(§ 2306 Abs. 2 BGB)

Auch ein insolventer Erbe kann ausschlagen, das Ausschlagungsrecht geht gemäß
§ 83 Abs. 1 InsO nicht auf den Insolvenzverwalter über. Der Bundesgerichtshof hat ferner entschieden, dass sogar ein Erbe, der aktuell steuerfinanzierte Sozialfürsorgeleistungen bezieht, ausschlagen kann und damit weiter staatliche Leistungen bezieht (und zugleich verhindert, dass der Nachlass durch den Sozialleistungsträger als einzusetzendes Einkommen verwertet würde).

VIII. Kosten
Für die Formulierung der Erbschaftsausschlagung, Anfechtung der Ausschlagung oder Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist durch den Notar entsteht nach GNotKG eine sog. halbe Gebühr aus dem Netto-Nachlasswert (nach Schuldenabzug des betroffenen Nachlasses bzw. Nachlassanteils). Bei überschuldeten Nachlässen beträgt die Mindestgebühr 30 €. Dazu kommen möglicherweise Portokosten für die Übermittlung an das Nachlassgericht, sofern diese nicht durch den Erklärenden selbst (am besten per Übergabe-Einschreiben oder durch persönliche Aushändigung) erfolgt. Die Übersendung an das Nachlassgericht übernehme ich nicht für Sie.

IX. Vermächtnisausschlagung
Vorstehende Ausführungen gelten nur für die Ausschlagung einer Erbenstellung. Ein Vermächtnis wird hingegen nicht gegenüber dem Nachlassgericht, sondern gegenüber dem Beschwerten, also dem Erben (beim Untervermächtnis gegenüber dem Hauptvermächtnisnehmer) ausgeschlagen oder angenommen, ohne dass es insoweit einer Form bedarf, auch eine Frist läuft grundsätzlich nicht. In bestimmten Fällen
(§ 2307 Abs. 2 BGB) kann der beschwerte Erbe jedoch dem Vermächtnisnehmer eine Frist zur Entscheidung stellen, um Klarheit zu schaffen.